Wen möchtest du mit deinem Verhalten schützen?

 

Habt ihr schon mal erlebt, wie es ist, wenn ein geliebter Mensch um Luft ringt?

Wenn man nichts weiter tun kann, als den Notruf zu wählen und zu hoffen, dass die Hilfe noch rechtzeitig kommt?

Das Herz rutscht einem in die Hose, man bekommt selbst fast keine Luft mehr, die Tränen brennen hinter den Augen, pure Hilflosigkeit und nackte Angst macht sich in einem breit. Und ich bin nur Zuschauerin, die Hoffende, die, die weiter atmet. Unser Sohn, kurz vor seinem 9. Geburtstag, er ist es, dem die Luft weg bleibt, er ist es, dem die Sanitäter und der Notarzt zur Hilfe eilen.

Wenn es mir als Mutter in der Situation schon so gefühlsmäßig dreckig geht, wie geht es ihm dabei? Er lässt alles über sich ergehen, ist froh, dass ihm geholfen wird. Wir fahren ins Krankenhaus, da ist eine Ärztin, die ihm nicht von der Seite weicht, weichen kann.

Auf Station bekommt er ein Bett und kann zur Ruhe kommen. Ich darf bei ihm bleiben, auch in der Nacht.

Jede halbe Stunde piepst sein Monitor, jede halbe Stunde kommt die Kinderkrankenschwester herein, geduldig, achtsam und trotz, dass sie viel zu tun hat, hilfsbereit und freundlich.

 

Ende Januar 2020 hatten wir als Eltern die drei bisher schlimmsten Wochen unseres Lebens. Das Bangen um das eigene Kind, um einen Menschen, den man von Herzen liebt. Das zerreißt einen innerlich. Drei Wochen, in denen wir aber von Ärzten und Pflegenden betreut wurden. Menschen die uns, obwohl sie uns nicht kannten, zur Seite standen, um herauszufinden, warum unserem Sohn das Atmen schwer fiel.

 

Könnt ihr euch vorstellen, wie dankbar ich bin, dass das alles vor dem Ausbrechen des Coronavirus passiert ist?

 

Die Angst sitzt mir allerdings immer noch tief in den Knochen. Das ist auch der Grund, warum mich der Coronavirus und das Ganze drum herum nicht kalt lässt.

 

Nicht, dass ich in Hysterie verfalle deswegen, sondern dass ich einfach sensibler damit umgehen möchte. Ich verstehe, dass man die Älteren und Risikogruppen unter uns schützen möchte, ich verstehe, warum es wichtig ist, jetzt alle an einem Strang zu ziehen. Denn was wäre mit unserem Sohn geschehen, wenn das Ganze mit ihm z.B. in Italien passiert wäre? In einem Land, dass wirklich auf dem Zahnfleisch geht. Wo es soweit ist, dass sie Entscheidungen treffen müssen, welche Menschen gerettet werden und welche sich selbst überlassen werden MÜSSEN, weil es einfach nicht mehr anders geht?

Wie geht es den Menschen, die solche Entscheidungen zu treffen haben?

Den Menschen, denen vor Augen geführt wird, dass ihr Leben gerade nicht wichtig genug ist.

 

Was wäre da mit unserem Sohn? Womöglich hätten sie ihn erst einmal isoliert, mit Verdacht auf Corona, was es nicht war. Er hätte noch länger als nötig um Luft ringen müssen.

 

Ich kann als Mutter nur den Kopf schütteln, über all diejenigen, denen es egal erscheint, die, die glauben, der Virus könne ihnen nichts. Und vielleicht ist das auch so, was ich wahrlich hoffe, doch woher wissen diese Menschen das? Woher wissen sie, dass nicht irgendwo in ihrem Körper etwas schlummert, von dem sie noch nichts wissen? Unabhängig davon, stell dir vor, ein gesunder Mensch, dem das Virus wirklich nichts anhaben kann, geht über die Straße und wird angefahren? Was, wenn dann keiner kommen kann? Wenn man dann da liegt und in seinem eigenen Blut ertrinkt, die Schmerzen so übermächtig sind, dass man nur noch schreien kann.

Oder wenn dein Haus, falls du das Glück hast eines zu haben, Feuer fängt? Und du nur noch zugucken kannst, wie das Feuer sich den Bauch voll schlägt, mit all deinen Sachen, Erinnerungen und vielleicht sogar mit einem Menschen, den du liebst. Und keiner kommt, um dir zu helfen.

Was wenn die Müllabfuhr nicht mehr kommt? Sich der Müll immer weiter türmt und die Ratten, bei einem so reichlich gedeckten Tisch, aus ihren Löchern kommen?

Ich möchte nicht nur mit meinem Verhalten die Risikogruppen schützen, sondern alle Menschen! Denn wir brauchen, in der Not jeden einzeln! Jeder Mensch, jedes Leben ist wichtig! Ich brauche Ärzte, Pflegende, die Müllabfuhr, die Angestellten im Supermarkt, die Angestellten in den Apotheken, Lehrende, Wissenschaftler, meine Familie, meine Freunde, meine Lieben. Ich brauche sie und ich brauche auch mein Leben. Darum verhalte ich mich so, wie es von mir gewünscht wird, ich wasche mir die Hände, genieße die mir geschenkte Zeit mit meinen Kindern, vermeide größere Menschenmengen und bleibe wenn möglich zu Hause.

 

Ich danke allen, die sich dem Risiko aussetzen, die weiterhin für uns da sind. Ihr seid alle wichtig.

 

Ich wünsche mir von Herzen, dass die Menschen endlich einsehen, wie wichtig jeder Einzelne ist. Vor allem aber die Pflegenden, die, die das höchste Risiko eingehen. Ich wünsche mir, dass ihnen viel mehr Respekt und Achtung zukommt. Finanziell und auch menschlich. Denn es sind nicht nur die Politiker, die in meinen Augen versagen, sondern auch die Menschen, die glauben jetzt rebellieren zu müssen, sich wie Superhelden aufführen, weil ihnen der Virus hoffentlich nichts anhaben kann. Ich wünsche mir Respekt, für uns und alle um uns herum!

 

Als Mutter möchte ich meine Kinder schützen, als Tochter meine Eltern, als Schwester meine Geschwister, als Enkelin meine Großeltern, als Freundin meinen Freundeskreis, als Hilfebrauchende alle, die mir helfen können und jeden anderen Menschen, der in mein Leben tritt. Zu guter Letzt auch mich selbst. Wen schützt du mit deinem Verhalten?

 

Vielen Dank fürs Lesen. Wenn es dir aus dem Herzen spricht, darfst du es sehr gerne teilen. Bitte beachte aber mein Urheberrecht an meinem Text. Es sind meine Worte, meine Empfindungen, mein Erlebtes. Sabrina Juschka

 

Danke!

 

Kommentare: 4
  • #4

    Chris (Sonntag, 15 März 2020 17:40)

    Berührende Worte und leider sehr wahrscheinliche "was-wäre-wenn"s in deinem Text. Man kann nur hoffen, dass alle rechtzeitig aufwachen. Und dazu braucht es den Appell derer, die schon wach sind. Danke!

  • #3

    Jenison (Sonntag, 15 März 2020 16:05)

    Danke Sabrina für diesen wertvollen Text. Ich stimme dir zu:-)

  • #2

    Yvonne (Sonntag, 15 März 2020 14:48)

    Liebe Sabrina, du sprichst mir aus der Seele.
    Mich regt der Egoismus der Leute auf, die jetzt nur an sich denken und hamstern ohne Ende. Selbst bei meinen Hunderunden erlebe ich nur rücksichtslose und mürrische Menschen. Ich finde es auch schade, dass viele Veranstaltungen ausfallen, aber es ist halt momentan so und da müssen wir alle durch. Es gibt wahrlich schlimmeres. Uns wird durch Corona auch Zeit geschenkt und diese sollten wir positiv nutzen.
    Liebe Grüße
    Yvonne

  • #1

    N. (Sonntag, 15 März 2020 14:40)

    ..Du hast mich zutiefst berührt
    Die Art und Weise deine Formulierung..so schön..so echt...und so wahr!!!
    Ich wünsche Euch und uns Allen viel Gesundheit, Geduld, Kraft und trotz allem Harmonie.